Reden und Leben Jesu in der ältesten Überlieferung

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Was hat Jesus wirklich gesagt und getan? Es gibt auf diese Frage keine sichere Antwort, weil die Erzählungen über ihn erst nach jahrzehntelanger mündlicher Weitergabe aufgeschrieben wurden und deshalb stark vom Glauben und den Erfahrungen der überliefernden Gemeinden geprägt sind. Dennoch vermag die neutestamentliche Wissenschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit die ältesten Teile der Evangelien, den Urbestand, zu unterscheiden von den erst später durch die Gemeinde hinzugefügten Ergänzungen. Diese Unterscheidung wird in dem vorliegenden Arbeitsbuch durch die verschiedene Art der Textwiedergabe kenntlich gemacht und durch Erläuterungen begründet.

 

Aus dem Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Erläuterungen

Literatur

Das Evangelium nach Matthäus

Das Evangelium nach Markus

Das Evangelium nach Lukas

 

Einleitung

Jesus von Nazareth ist das Fundament des christlichen Glaubens: „Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus.“ (1.Kor 3,11) Auf Jesus beziehen sich die ältesten christlichen Bekenntnisse: „Jesus ist der Herr“ (R 10,9; 1.Kor 8,6; 12,3; Phil 2,11 u.ö.), „Jesus ist der Christus“ (vgl. 1.Joh 2,22; Mk 8,29). Auf ihn beruft sich die Kirche, wenn sie das Herrenmahl feiert („Während des Mahls nahm er das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es ihnen und sagte: Nehmt, das ist mein Leib.“ Mk 14,22) und wenn sie missioniert und tauft („Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.“ Mt 28,18-20) Diese Sätze stehen in der Bibel. Aber sind es tatsächlich Worte Jesu? Mündige Bibelleser und Predigthörer können nicht einfach hinnehmen, etwas sei wahr, nur weil es in der Bibel steht. Sie wollen wissen: Hat Jesus wirklich die Vollmacht in Anspruch genommen, den Worten des Mose ein „Ich aber sage euch“ entgegenzusetzen (z. B. Mt 5,22.28)? Und was genau hat er gesagt? Wie ist sein Leben tatsächlich verlaufen?

Das vorliegende Buch gibt keine neuen, eigenen Antworten auf diese Fragen. Aber es soll den Zugang zu veröffentlichten Forschungsergebnissen erleichtern. Es gibt zu jedem Textabschnitt der drei ersten Evangelien einen groben Überblick darüber, wie das Alter seiner Überlieferung in der aktuellen wissenschaftlichen Literatur eingeschätzt wird. Jesus hinterließ nichts Schriftliches. Zu seinen Lebzeiten und viele Jahre danach haben auch seine Anhänger kein Wort aufgeschrieben. Warum auch? Sie rechneten mit einem baldigen Weltende. Man kannte ja die Berichte der Augenzeugen. Sie wurden weitererzählt von Familie zu Familie, von Ort zu Ort. Der Textvergleich zwischen den drei ersten Evangelien brachte zutage, daß die einzelnen Erzähleinheiten älter sind als ihre Verknüpfung miteinander. Sie wurden offenbar zunächst jede für sich weitergegeben und erst später, wie Edelsteine zu einem größeren Schmuckstück, zusammengefügt. Einleitende und abschließende Sätze stellten dabei, wie die Fassung einer Brosche, die Verbindung zwischen den Einzelstücken her.

Erst als das Weltende ausblieb und die Augenzeugen nach und nach wegstarben, erkannte man, daß man die Erinnerungen schriftlich festhalten mußte. Die erste Aufzeichnung war eine Sammlung von Reden Jesu, die sogenannte Logienquelle. Daneben entstand ein Bericht über die Passion und das Wirken Jesu. Er wurde um 70 n. Chr. ergänzt und zusammengefügt zum heutigen Markusevangelium. Auf der Grundlage der Logienquelle und einer Vorform des Markusevangeliums entstanden zwischen 70 und 80 n. Chr. das Matthäus- und das Lukasevangelium. (Das erheblich später verfaßte Johannesevangelium bleibt hier außer Betracht, weil seine theologisch überhöhte Darstellung für eine Rekonstruktion der authentischen Verkündigung Jesu zu wenig hergibt.) Die Evangelien sind nicht in der Sprache Jesu geschrieben (er sprach Aramäisch), sondern in Griechisch, der damaligen Weltsprache, die man rund ums Mittelmeer verstand. Griechisch sprachen auch die jüdischen Auslandsgemeinden in Antiochien, Philippi, Thessaloniki, Korinth, in denen die christliche Mission ihren Anfang nahm, und die „Heiden“, die man für den neuen Glauben gewinnen wollte. Viele Einflüsse haben also die vorliegenden Texte geformt: unterschiedliche Erinnerungen der ersten Zeugen, die Lebendigkeit mündlichen Erzählens, die Übersetzung in die griechische Sprache (und das heißt teilweise auch in griechisches Denken), die Herstellung eines fortlaufenden Zusammenhangs, Ergänzungen und Kürzungen bei der abschließenden Bearbeitung.

Die Evangelien sind daher alles andere als Protokolle oder Chroniken. Sie sind Werbeschriften für den Glauben der Christen. Sie sind die ältesten bis heute erhaltenen christlichen Predigten. Insofern sind sie durchaus Urkunden, aber nicht für die Geschehnisse, die sie schildern, sondern für den Glauben ihrer Verfasser. Selbst Lukas, der sich immerhin vorgenommen hatte, „allem von Grund auf sorgfältig nachzugehen“ (Lk 1,3), machte keinen Unterschied zwischen Worten des historischen Jesus und des erhöhten Christus. Er machte keinen Unterschied zwischen Vorgängen, die von Augenzeugen erzählt wurden, und solchen, die man aus den Heiligen Schriften erschloß. Die Propheten konnten ja nicht irren ... . Die Maßstäbe zuverlässiger Berichterstattung und kritischer Forschung, die sich im europäischen Kulturkreis seit der Aufklärung herausgebildet haben, waren den Autoren fremd. Dennoch ist die Auffassung, der christliche Glaube habe seine wichtigste Grundlage in der Verkündigung und dem Wirken Jesu selbst, keine bodenlose Fiktion. Die seit über zweihundert Jahren systematisch betriebene überlieferungsgeschichtliche Forschung hat Wege gefunden, mit beträchtlicher Verläßlichkeit vom heutigen Wortlaut zu vielen ursprünglichen Reden Jesu und zu einigen Grunddaten seines Lebens vorzudringen. Dabei gelangt man nicht zu einem „Jesus an sich“, der irgendwo hinter den Berichten zu finden wäre. Damals konnte man Jesus wahrnehmen, wie er selbst sich äußerte und verhielt und wie ihn seine Zeitgenossen sahen und beschrieben. Heute kann man ihn nur so wahrnehmen, wie ihn die Verfasser der neutestamentlichen Texte und ihre Überlieferer und Ausleger bezeugt haben und bezeugen. Kein heutiger Bibelleser muß die Sicht einzelner Zeugen und Überlieferer – auch der ältesten – einfach übernehmen. Denn sie ist bei jedem Menschen durch besondere Interessen, Begrenzungen und Verzerrungen beeinflußt. Diese Einflüsse kann der Leser berücksichtigen und so sein eigenes Urteil finden. Aber auch er selbst ist solchen Einflüssen unterworfen. Sie kann er nicht allein erkennen, sondern nur in der Verständigung mit anderen. Erst wenn er seine eigene Sicht in Beziehung setzt zu der Sicht anderer Überlieferer und Ausleger, gewinnt er ein verläßliches Bild von Jesus. Dieses – im Prinzip nie endgültige, sondern immer nur vorläufige – Bild ist gemeint, wenn im vorliegenden Buch verkürzt von „authentischen“ Worten Jesu oder von „tatsächlichen“ Ereignissen in seinem Leben gesprochen wird.

Es hat sich gezeigt, daß ein Großteil der Angaben zum Leben Jesu, insbesondere die zu seiner Geburt und seiner Kindheit, aber auch Heilungs- und Wundergeschichten, erst ziemlich spät entstanden sind. Sie sind deutlich von der Absicht geprägt, die Vollmacht und die Bedeutung Jesu hervorzuheben. Nicht wenige dieser Geschichten bewahren Spuren tatsächlich geschehener Ereignisse, betroffener Orte, beteiligter Personen. Welche ihrer Angaben aber im Sinne heutiger Geschichtsbetrachtung wirklich zutreffen, das läßt sich in der Regel nicht den einzelnen Geschichten, sondern nur dem Zusammenklang voneinander unabhängiger Traditionen entnehmen. Der verläßlichste Beleg dafür z. B., daß Jesus „Dämonen“ ausgetrieben hat, sind nicht die zahlreichen Wundergeschichten, sondern das höchstwahrscheinlich authentische Wort Mt 12,28. Die jüngeren Teile der Überlieferung haben dennoch ihr bleibendes Gewicht. Das liegt zunächst einfach an ihrer großen Wirkung in der Geschichte des christlichen Glaubens; man denke nur an die Weihnachtserzählung oder an das Herrenmahl. Hinzu kommt, daß die Erkenntnis über das höhere Alter und den Aussagegehalt bestimmter Texte nie ohne den Dialog mit den übrigen Stücken gewonnen werden kann. Und dieser Dialog muß weitergehen. Außerdem erschließen auch die späteren Änderungen und Ergänzungen Wahrheiten, die für den heutigen Glauben wichtig sind. Älter als die meisten biographischen Angaben ist die Überlieferung der Reden Jesu. Erkenntnisse über Gesetzmäßigkeiten, denen mündliche Überlieferung zu allen Zeiten folgt, und über den Einfluß besonderer Interessen der frühen Gemeinde erlauben, auch innerhalb der kleinen Einheiten, z. B. der Gleichnisse oder der Spruchgeschichten, Anlagerungen und Umformungen aufzuspüren und den ältesten Kern herauszuschälen. Bei vielen Redeüberlieferungen kann man so mit ausreichender Wahrscheinlichkeit zwischen Gemeindebildungen und authentischen Jesusworten unterscheiden. Deshalb wäre es gut, wenn diese Unterscheidung in der Bibelauslegung deutlicher sichtbar würde. Denn wer heute bei der Auslegung von Texten, die von einer großen Mehrheit der Forscher als Gemeindebildung angesehen werden, den Eindruck erweckt, sie stammten von Jesus selbst, untergräbt die Glaubwürdigkeit der Kirche.

Entsteht denn wirklich ein Schaden, wenn man klarstellt, daß Jesus selbst in mehreren Gleichnissen veranschaulicht hat, wie Gott sich freut, wenn verlorene Menschen gefunden werden, daß aber der Spruch „Der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist“ (Lk 19,10) vermutlich von der überliefernden Gemeinde geprägt wurde? Schaden entsteht doch erst, wenn Hörer oder Leser irregeführt werden. Muß die Taufe mit dem mißverständlichen Hinweis begründet werden, den „Taufbefehl“ (Mt 28,18ff.) habe Christus selbst seinen Jüngern gegeben? Genügt es nicht, zu erklären, daß Jesus sich taufen ließ, um Vergebung zu erlangen und sein Leben ganz Gott anzuvertrauen, und daß Christen seinem Beispiel folgen? Noch einmal sei hervorgehoben, daß auch die älteste erreichbare Überlieferung nie mit letzter Sicherheit auf Jesus selbst zurückgeführt werden kann. Die Fußnoten zur Wiedergabe der Evangelientexte (s. u. ab Seite 25) zeigen zwar bei vielen Texten eine große Übereinstimmung der Ausleger. Sie zeigen aber auch, wie unterschiedlich die Authentizität anderer Abschnitte beurteilt wird. Darum ist jeder Leser eingeladen, in kritischer Auseinandersetzung mit der „Wolke der Zeugen“ (also mit den Verfassern des Neuen Testaments ebenso wie mit der theologischen und sonstigen Wissenschaft und mit der weltweiten Kirche) sich um ein eigenes Urteil über die Verläßlichkeit des jeweiligen Textes zu bemühen und so sein Bild von Jesus zu gewinnen.

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